Literatur-Cafe - Meine Geschichten

Maikäfer flieg

Die Hoffnung auf eine vielversprechende Zukunft lag schon hinter Gertrude Magdalena Henriette Irrgang, die Trudi genannt wurde. Trudi’s Träume und Visionen hatten sich im Laufe ihrer 40 Jahre erst verflüchtigt und dann ins Nichts aufgelöst. 1949 in dem Jahr geboren, als in Deutschland das Gesetz zur Gleichberechtigung von Mann und Frau erlassen worden war, begann der Hindernislauf ihres Lebens. Sie wuchs auf mit einem leise tretenden Vater, der ihr zum Einschlafen das Lied vorsang vom Maikäfer, der nach Pommerland flog und für Trudis Erziehung zuständig, sorgte die Mutter mit eiserner Hand dafür, dass sie sich zu einem artigen Kind entwickelte.

Kinderstube und Heimat war ein kleines efeubewachsenes Haus in der Tübinger Altstadt. Man konnte von dort aus in ein Turmzimmer blicken. Hölderlin war dort 36 Jahre lang, mehr oder weniger liebevoll, von seinem Wirt versorgt worden. An schönen Tagen war ihr Spielplatz dort unter der Weide am Neckar. Sie dachte sich Geschichten für die Puppe Niki aus oder sang das Lied vom Maikäfer. Musste sie nach Hause, da das Essen fertig war, das Wetter schlecht wurde oder sonst irgendein wichtiges Ereignis anstand, wurde sie von der Mutter oder einer der zwei anderen Feen, denen sie ihre Namen zu verdanken hatte, gerufen. Das waren Großmutter Henriette und Mutters Schwester Magdalena. Wie gerne hätte sie nur einen einzigen Vornamen besessen, denn jede Inhaberin ihrer Vornamen legte großen Wert darauf, bei ihr nicht in Vergessenheit zu geraten. Henriette mit ihrer bösartigen Bestimmerei, Gertrude, mit der nervenden Besserwisserei und Magdalena, die man als das ewige Opfer immer bemitleiden musste. Alle wollten das Kind nach eigenem Geschmack und Willen zurechtbiegen. Da keine Geschwisterchen mehr kamen blieb sie das alleinige Erziehungsobjekt. Der immer kränkelnde Vater starb überraschend, als sie 10 Jahre alt war. Er hatte die Übermacht der Frauen in seinem Haushalt nicht länger ertragen und seine monatliche Schlaftablettenration in einer Flasche badischem Spätburgunder aufgelöst und sich damit für immer verabschiedet. Trudi fand ihn starr und kalt auf seinem Sofa, das in einer Ecke auf dem Dachboden seine Fluchtinsel gewesen war. Mit diesem tief sitzenden Schockerlebnis ließ man sie alleine. Die anderen Damen des Hauses ergaben sich in ihre Trauer über den, von der Polizei ermittelten Suizid des Hausherrn und waren damit voll überlastet. Zum Glück hatte sie noch den lieben Hölderlin, der ihr unter der Weide geduldig zuhörte und mit ihr Maikäfer flieg… summte.

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Die Schule war ihre Rettung, hatte sie doch triftige Gründe aus dem Haus zu entkommen oder sich zum Lernen in ihr Zimmerchen zurück zu ziehen. Schulkameraden waren zuhause nicht erwünscht, da sie laut waren oder Dreck mit brachten, so entwickelte sich Trudi zur Einzelgängerin und willkommenen Bedienung für die drei schrulligen Damen vom Efeuhaus. Sie marschierte mit Bravour durch die Schulzeit und hatte beim Abitur Hölderlin an ihrer Seite, mit dem sie eine glänzende Note hinlegen konnte. Er war auch Ausschlag für die Wahl des Studiums der Literaturwissenschaft. Sie entschied, zum Studienort Aachen zu machen, da er weit von Tübingen entfernt, ihr Ruhe vor den Feen versprach. Es gab natürlich ein großes Gezeter der drei, die nicht verstanden, dass sie es sich nicht so bequem machte, vor der eigenen Tür zu studieren, außerdem hätte das auch viel Geld gespart. Trudi blieb stark und setzte diese von Hölderlin in ihr Ohr gesetzte Idee durch. Sie musste sich auch nicht wegen Geld erpressen lassen, da eine kleine Erbschaft von Vaters Seite, ihr Unabhängigkeit verschaffte. Dafür musste sie das Versprechen abgeben, die Semesterferien im heimatlichen Tübingen zu verbringen.

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Trudi entwickelte sich zu einer Frau mit ganz besonderer Ausstrahlung und Anziehungskraft. Unübersehbar mit roter Lockenpracht und mollig, war sie nicht attraktiv wie eine Titelbild Schönheit, trotzdem drehte man sich pfeifend nach ihr um. Mit solchen Qualitäten ausgestattet konnte sie weit weg von zuhause endlich Erfahrungen machen mit dem anderen, ihr bisher unbekannten männlichen Geschlecht. Unrealistische Wünsche und Illusionen ließen sie beim ersten Mann sofort auf die Nase fallen. Peter, ein Jurastudent, versprach ihr das Blaue vom Himmel, nahm ihr die Jungfräulichkeit und verschwand nach der ersten Liebesnacht mit dem Inhalt der Zuckerdose. Den Rest des Monats lebte sie von Haferflocken und Rosinen und beratschlagte sich mit Hölderlin. Da ihr die Liebesnacht an sich sehr gut gefallen hatte, entwickelte ein reges Sexleben mit verschiedenen Partnern. Jedoch hielt sie die Zuckerdose unter Verschluss, das Gegenteil sogar war der Fall und die älteren Herren ließen größere Scheine auf dem Tisch liegen. Sie fädelte es ein, dass sich auch Peter wieder mit ihr traf und sich von ihr verwöhnen ließ. Sie kredenzte ihm „Russische Eier“ und anschließend liebten sie sich mehrmals leidenschaftlich. Von einem Kommilitonen erfuhr sie Tage später, dass Peter überraschend an einer Lebensmittelvergiftung gestorben sei. Was sie schmerzlich traf.

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