Der riesige alte Baum streckte seine blauschwarzen verzweigten Äste in die Dunkelheit des Alls. Sterne funkelten gegen die Finsternis an. Die Planeten hatten zu der Zeit noch keinen Namen, doch zogen sie zuverlässig ihre Bahnen. An den Wurzeln des Baumes lagerte die große Schlange. Ihre Haut schillerte blauschwarz wie die tiefe Nacht. Sie schlief schon seit Urzeiten, doch wartete sie tief im Unbewußten darauf, gerufen zu werden.
Die Schlange blinzelte, als sie von weit her eine Stimme hörte, Lilith, sie wurde mit diesem Namen wachgerufen. Sie räkelte und streckte sich, wurde sich ihres Körpers bewußt. Sie spürte wie das Blut warm wurde und durch ihre Adern floß und sie erkannte ohne Spiegel die Schönheit und Sinnlichkeit in ihrem Körper und fühlte eine unbezähmbare Lebenslust in sich aufkommen. Ja, sie war da. Sie war bereit.
Doch wer oder was hatte sie geweckt? Sie machte sich auf ihren Weg auf die Suche nach diesem Ruf, nach ihrer Berufung.
Der Weg führte sie über die Planeten zu den Sternen und von dort kam sie in ein gewaltiges Wasser, es wurde das Urmeer genannt. Die Wellen jagten um die Wette dem Ufer zu und am Ufer dieses Meeres ruhte sie sich aus. Die Wassertropfen lagen wie Perlen auf ihrer Haut. Sie spürte diese Perlen wie Millionen ungeweinter Tränen, die aus der Zukunft auf sie zukamen.
Rastlos ging sie weiter durch diese Welt. Es war eine Welt auf der noch der Tau lag. Sie ging über Geröllhalden, hinunter in die Urtäler und wieder hinauf in riesige Gebirge. Auf dem Dach der Welt hatte sie die Vision eines schönen Gartens, mit duftenden Rosenbäumchen und einem Apfelbaum, der in einer prallen, sengenden Sonne, den lebensnotwendigen Schatten spenden würde. Diesen Baum galt es zu finden. Sie ließ sich vom Wind in die Richtung dieses Paradieses tragen und kam voll freudiger Erwartungen dort an.
In diesem Garten fand sie endlich das Du. Es gab dort Leute, die ihr wie in einem Spiegel zeigten, wie sie sein sollte. Sie sollte sich an die Lebensart hier anpassen, ansonsten würde sie davon gejagt werden. Mit einem Flammenschwert aus dem Paradies verjagt werden. Wer will das schon? Und so bemühte sie sich um Anpassung. Doch manche Vorschriften waren ihr zu unverständlich und sie versuchte durch ihr Wissen und ihr Können den Herrscher zur Einsicht zu bringen. Sie erreichte jedoch lediglich, daß der Machthaber Angst bekam, seine Macht abgeben zu müssen, und der deshalb beschloß, die Schlange zu verbrennen. Ein Scheiterhaufen wurde errichtet, das Feuer sollte hell lodernd brennen.
Im letzten Moment konnte sie fliehen. Durch eine Felsspalte gelangte sie in den Schoß von Mutter Erde. Sie brauchte Zeit zum Nachdenken. Es hatte sich etwas in ihr gewandelt. Sie wußte, daß sie nicht wieder in die Vergessenheit zurückkehren wollte, aus der sie einst erwacht war.