Literatur-Cafe - Meine Geschichten

Das Auge der Persephone

Skorpion! Es geschah also zu der Zeit, da die Kinder gross waren und ihre eigenen Wege gingen. Der Körper der Frau veränderte sich, sie bekam von ihm nicht mehr die Signale zur Fortpflanzung, sondern machte sich auf eine Art bemerkbar, die sie ängstigte. Mit der Zeit wurde sie so nervös und gereizt, dass sie sich kurz entschlossen für einen Urlaub entschied. Schon lange wollte sie die Bretagne bereisen, da alte Steine und Kirchen sie schon immer faszinierten und diese dort haufenweise zu finden sind.

 

Es ergab sich, dass sie ein hübsches Häuschen in der Nähe des Strandes fand und das für sie frei war. Die Kate hatte einen wunder- schönen Garten mit einer alten Steinmauer. An dieser Mauer wuchs ein Meer von blauen und roten Hortensien mit riesigen Blütendolden. Auch gäbe es dort einen riesigen knorrigen Feigenbaum. In der Abenddämmerung schwärmten aus der Baumkrone die Fledermäuse aus und gingen auf Käfersuche. Diese Tiere waren ihre heimliche Leidenschaft, und sie beobachtete sie im Zwielicht.

Mit der Zeit beruhigten sich ihre Nerven, und sie machte Ausflüge in die Gegend. In der Nähe ihres Häuschens war eine kleine romanische Kirche, nicht weit davon entfernt befand sich ein alter Waschplatz. Dort breitete sich unter einer mächtigen betagten Eiche das rechteckige Wasserbecken aus. An einem Ende der Wasserstelle, in Richtung Meer, standen zwei keltische Steinsäulen. Dieser Ort hatte für die Frau eine mythische Ausstrahlung, und sie musste immer wieder dort hingehen, da sie wie magisch angezogen wurde. An einem Nachmittag machte sie es sich unter der alten Eiche mit einem Buch gemütlich. Kein Mensch aus dem Dorf kam vorbei und störte ihre Ruhe. Draussen flirrende Hitze, doch um sie herum war es angenehm kühl vom Schatten des Baumes und vom Wasser des Teiches. Es ging ihr einfach gut und sie döste ein. Zwischen Tag und Traum begegnete ihr ein feenhaftes Wesen, es sprach nicht, sondern winkte ihr zu, ihm zu folgen und führte sie zu den beiden Steinsäulen, die plötzlich der Eingang waren zu einem unterirdischen Gang.

Voller Spannung machte sie sich auf den Weg nach unten. Glatte, trockene Steinstufen führten sie immer tiefer in die Finsternis. Plötzlich kamen die ganzen Ängste der letzten Zeit in ihr hoch. Was wird sein wenn ich nicht mehr zurückfinde? Wird mich jemand vermissen? Wenn ich sterbe? Was habe ich aus meinem Leben gemacht? Doch bevor ihre Verzweiflung in Panik ausbrechen konnte, war sie am Ende der Treppe angelangt und es wurde heller um sie herum. Sie konnte erkennen, dass sie in einer Art Keller war. In der einen Ecke dieser Gruft sah sie in alte Fetzen gewickelte Puppen. Es gab Kartoffelsäcke gefüllt mit ekligen Dingen, die sie lieber nicht sehen wollte. Jeden Moment fürchtete sie, über gebleichte Knochen zu stolpern und sehnte sich nach dem feenhaften Wesen, das ihr auf dem Weg in die Tiefe verlorengegangen war. Sie wollte die Leichtigkeit spüren, die sie an der Gestalt wahrgenommen hatte und überlegte, wie sie aus dem Sumpf, der sie nach unten zog, herauskommen könnte.

Plötzlich sah sie in einer Ecke etwas glitzern. Sie hob das Glitzerding auf, wischte es sauber und blickte in ein Auge. Dieses Auge strahlte sie mit einer Klarheit an, sodass es ihr ganz leicht ums Herz wurde. Sie hockte sich auf die letzte Steinstufe und fragte sich, was das Auge ihr sagen wollte. Du wünschst Dir Klarheit über Deine Zukunft, du willst Leichtigkeit spüren, du hättest gerne, dass deine Ängste verschwinden. Dabei liegt die Antwort doch in Dir. Du hast Angst vor deinen eigenen Schätzen, du ekelst dich vor deiner Kraft und Stärke, schau dir die Dinge, vor denen du dich fürchtest, doch einmal genau an und verwandle sie in deine Energie. Dieses Potential gibt dir Antwort auf all deine Fragen. Auf jede Nacht folgt ein neuer Morgen.

Carpe Diem.”

Ein Donnerschlag weckte die Frau auf. Sie lag noch unter der Eiche und hatte geträumt. Das Wetter hatte umgeschlagen und vom Meer her zogen schwarze Gewitterwolken auf, doch die Frau war auf einmal ganz mutig und leichtfüssig, der Traum wirkte in ihr nach, und sie freute sich auf Morgen.

© Monika Schanz